Lieber Julian, du vertrittst die Veranstaltungen hinter dem Label „PULZ“, welche in regelmäßigen Abständen in Casselfornia stattfinden. Erzähle unseren Lesern doch einmal kurz, was PULZ ist und wer sich dahinter verbirgt.

Foto (c) Olga Holzschuh

Hallo Casselfornia Team, vielen Dank für das Interesse an unseren Veranstaltungen.
PULZ ist ein Veranstaltungskollektiv und Musiklabel, wobei ersteres in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund gerückt ist.
Von Außen gesehen sind es Tanzveranstaltungen, die als Gegenbewegung zur kommerziellen und anonymen Pop- und Clubkultur zu verstehen sind. Es sind überschaubare Events, bei denen die Musik, bzw. unsere Auffassung von Musik, im Zentrum des Geschehens steht. Die Veranstaltungen sind aber trotzdem mehr als Räume, in denen DJs ihre Platten drehen. Das wirkliche Bild, bzw. die Erfahrung entsteht durch die durch die Musik resultierende Energie, sowie durch die sozialen Interaktionen ringsherum.

Das Meiste fällt auf mich zurück, aber um mich herum gibt es ein paar Menschen, die mich bei meinen Veranstaltungen unterstützen und viele gute Ideen einbringen. Ohne sie würden die Veranstaltungen nicht funktionieren. Zu nennen sind hier z.B. Nils Heitzmann, Joshua Arnold, Timo Lange, Lisa Wentzel, Carina Lipphardt, Christian Trebing, Robert Meyn und Henrike Bilz.
Eine klare Aufteilung gibt es nicht, da die Herausforderungen mit jeder Veranstaltung variieren und Entscheidungen oft im gemeinsamen Dialog stattfinden. Jeder macht das, was er kann und wozu er Lust hat. Motivation, ideologische Gleichgesinnung, sowie das Menschliche, ist mir wichtiger als Event- & Gastro-Erfahrung.
Meine komplette visuelle Gestaltung verdanke ich Burcu Türker.

Nach welchen Kriterien sucht ihr eure Dj`s oder Live-Acts aus? Gibt es so etwas wie ein Bookingkonzept?

Klar, gibt es sowas, es soll das Fundament unserer Partys sein. Aber das Bookingkonzept ist bei jeder Veranstaltung (PULZ, DeepDown, Ruderclub) etwas anders, jedoch gibt es natürlich Parallelen.
Allgemein kann ich folgendes sagen: Mir ist es z.B. nicht wichtig, wie viele Likes der Künstler auf Facebook hat oder wie „angesagt“ er gerade ist. Viel mehr geht es mir darum, dass er unkonventionelle und exklusive elektronsiche Musik am Puls der Zeit spielt und somit ein besonderes Erlebnis schafft. Musiker, die ihren eigenen Weg gehen, ihr Sache reflektieren und auch einem gewissen Standing treu bleiben.
Mittlerweile gibt es ja schon Radio-Hits von Paul Kalkbrenner, Klangkarussel, Alle Farben, Wankelmut und wie sie alle heißen. Das zeigt, dass „Techno“ mittlerweile schon als Teil der Popkultur zu verstehen ist. Es gibt im Moment so viele Dj`s die immer diesen poppig angehauchten Elektro spielen, den jeder kennt. Das nervt mich total und dafür braucht man auch nicht in einen Club gehen, meiner Meinung nach.
Es gab noch nie so viele Musiker, Musikgenres und Labels wie heutzutage. Der Dj sollte doch diese Filterfunktion übernehmen, für die wir in unserer medienüberfluteten Welt gar keine Zeit haben. Genau das in Kombination mit dem Arrangement der Stücke auf die Reaktion des Publikums und der einen oder anderen Fingerfertigkeiten, macht ihn meiner Meinung nach so wichtig und rechtfertigt seine Anerkennung als Künstler. Entscheidend ist für mich aber nicht nur seine Performance allein, sondern sein ganzes künstlerisches Profil mit Discografie, Residency usw.
Mir geht es um Kunst & Kultur und nicht um stumpfe Bespaßung mit schnellen lauten Bässen, poppigen Mashup-Elektro Hits oder Minimal Techno mit Klicker-Klacker und Gezische. Dann doch lieber herzlichen und deepen Underground Sound. Erstens gefällt mir die Messsage dieser Musik persönlich besser und zweitens nehme ich dann als Veranstalter auch einen viel angenehmeren Vibe wahr. Ich würde es vielleicht irgendwie als „nachhaltiges Tanzgefühl“ beschreiben.
Klar kommt in meinen Bookings mein persönlicher Geschmack durch, aber ich versuche schon möglichst subjektive Präferenzen von qualitativ hochwertiger Musik zu differenzieren, auch wenn mir das nicht immer gelingen mag. Da akzeptiere ich auch, dass mal einer sagt „Du Julz, der Sound heute taugt mir ja gar nicht“. Wenn man ins Museum geht, muss ja auch nicht immer alles „schön bunt und rund“ aussehen.
Bei den Locals sind mir natürlich auch noch andere Sachen wichtig, wie dass man sich versteht, dass sie Interesse zeigen, nicht gleich über Geld reden , sich auf den Headliner einstellen können oder die warmups nicht zu flott spielen.

Was macht deiner Meinung nach eine gute Techno-Veranstaltung aus?

Foto (c) Olga Holzschuh

Ich glaube das ist sehr multifaktoriell bedingt und lässt sich schwer pauschalisieren.
Musik, Sound, Zeitpunkt, Licht, Location, Raumkomposition, Stimmung und natürlich die Menschen, die man um sich herum hat, spielen dabei eine Rolle.
Ich habe für mich festgestellt, dass mir Partys mit einem Raum am besten gefallen. Partys, bei denen man sich verläuft, sich nicht mehr wiederfindet und die ganze Zeit auf der Suche nach dem besten Act ist, gefallen mir nicht so gut. Außerdem bin ich auch kein Freund von viel bewegtem Licht, Strobo, Nebelmaschine und dem ganzen „Technik-Schnickschnack“. Ich mag eher so den Kompromiss zwischen Club- und Wohnzimmerathmopsphäre.
Schön ist es auch wenn man über den ganzen Abend einen Spannungsbogen wahrnehmen kann und die Dj`s gut zusammen Passen, sodass nicht nur Headliner, sondern das ganze Booking als Runde Sache wahrgenommen wird. Locals die 15 min vor ihrem Set kommen oder die ganze Zeit nur Backstage abhängen, finde ich meist eher unsympatisch.

Wie kamt ihr überhaupt auf den Namen „PULZ“?

Das Herz hält uns am Leben und unser Puls schlägt unser ganzes Leben lang im Viervierteltakt. Das Wichtigste Element der elektronischen Musik ist die Kickdrum, welche ebenfalls meist im Viervierteltackt schlägt. Wie unser Gemütszustand unser ganzes Leben lang von unserem Herzen abhängig ist, so entscheidet die Kickdrum oft über unseren Gefühlszustand beim Tanzen. Diese Parallelen zwischen Herz und Musik fanden wir spannend, sodass wir uns für PULZ entschieden haben. Naja und das mit dem „Z“ fanden wir irgendwie „catchy“.

Wo fanden bis heute schon überall eure Partys statt? Und wieso wechselt ihr so oft die Locations?
Warum gab es noch keine Party im Arm?

Puh... Haus, Batterie, altes Zollamt, Goldankauf, Gleis 1, „Ruderclub“, Frau Alles, Ponyhof (Darmstadt), Gallerie Kurzweil (Darmstadt), Schiff Hessen, K19, UNTEN und „Das Erste Mal“. Ich glaube, das war`s.

Am Anfang war es mir wichtig, dass die Locations nicht so „vorbelastet“ sind, also bisher frei von „Techno-Events“ waren. Ich wollte nicht eingefleischte Techno-Clubs und regionale Techno-Muster aufgreifen, da ich meine Prinzipien mit diesen kaum oder nicht in Einklang bringen konnte. Die ersten Wechsel hingen mit den Raumkapazitäten zusammen, die anderen gingen mit ein paar konzeptionellen Änderungen, Anfragen und Zufällen einher. Jede Räumlichkeit bietet andere Möglichkeiten und egal wie viele Gedanken man sich über Sound-, Raum- und Lichkonzept macht, irgendwann verliert jede Räumlichkeit an Excitement für die Gäste genauso wie für mich.

Aber mittlerweile Wechseln wir eigentlich nicht mehr so viel. In der Zukunft wird das in der Regel immer so laufen: DeepDown im UNTEN, PULZ im K19 und Ruderclub in einer Off-Location. Das hat sich so ganz gut eingespielt und wir können in den drei Locations alles umsetzen und jede Location hat so seinen eigenen Charme und seine eigene Message.

Auch einmal im Arm zu veranstalten war vor ca. einem Jahr tatsächlich schon mal im Gespräch, aber ein Event kam dann aus diversen Gründen irgendwie doch nicht zustande. Das Arm hat einiges, was ich sehr schätze, aber ein paar ideologische Reibungspunkte gibt es natürlich auch. Meine Veranstaltungen gefallen mir am besten mit Besucherzahlen zwischen 200 und 400 Gästen. Das Arm braucht schon ein paar mehr Gäste um wirtschaftlich zu funktionieren. Dazu kommt noch, dass ich ganz gerne selbst über Booking, Sound, Licht, Grafik, Marketing, Personal etc. entscheiden möchte und ich glaube, dass wird beim Arm vielleicht kompliziert, da sie sehr eingespielt sind und auch sehr präzise Vorstellungen haben.

Erläutere uns doch bitte mal die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der drei verschiedenen Veranstaltungen?

Es sind unterschiedliche Locations und daher auch andere Veranstaltungskonzepte. DeepDown sagt ja schon der Name: Eher deepe und vielleicht gradlinigere Underground Mucke und es ist etwas dunkler allgemein. PULZ (im K19) ist meist etwas offener und vielseitiger. Ruderclub ist widmet sich eher dem echten House und Disco Sound. Da Ruderclub eine Privat-Party ist, ist die Stimmung noch etwas intimer. Selbstverständlich gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber es hat schon jede Veranstaltung ihre eigene Message.

Erinnern wir uns zurück an die ersten PULZ Partys in Casselfornia: Überfüllte Locations, ellenlange Schlangen z.B. vor dem Gold Ankauf Club oder Batterie (welche nun beide geschlossen haben), doch die letzten zwei Veranstaltungen, die wir besucht haben, schienen weniger gut gefüllt zu sein. Was hat sich geändert?

Im Sommer sind die Clubveranstaltungen nie so gut besucht wie im Rest des Jahres. Die Leute sind verreist, versacken auf Grillpartys oder verballern ihr Geld auf Festivals. Dazu kommt noch, dass es in diesem Jahr noch ein paar andere Events gab. Wenn das Angebot größer ist, verteilt sich das natürlich ein bisschen.
Natürlich machen wir auch Planungsfehler. Im August hatten wir z.B. viel Kohle für unsere zwei-Jahres Party ausgegeben (Roman Flügel, Open Air, neue Licht Installationen, Funktion One Anlage etc...). Das hat sich dann natürlich auf den Eintrittspreis niedergeschlagen, was uns einige Gäste glaube ich etwas übel genommen haben.

Was macht dir Sorgen?

Während der Partys bin ich oft unter Strom, hab wenig Zeit zum Plaudern und bin oft schlecht gelaunt, da ich viel im Kopf habe und mich natürlich an einige Regeln halten muss. Ich hoffe, dass die Gäste nicht manchmal denken „Der Julz ist aber ein arroganter und schlecht gelaunter Penner“.
Was mir noch Sorgen macht ist, dass Disco (Nils Heitzmann) nach Magdeburg gezogen ist. Er hat mich immer gut unterstützt und wir haben so den einen oder anderen Schabernack auf unseren Partys zusammen erlebt. Das werde ich sicherlich sehr vermissen.
Sonst machen mir noch die steigenden Gagen und die allgemeine „Verpopung“ der Szene zu schaffen.

Welches Publikum kann man auf PULZ Partys antreffen und wie sieht eure Türpolitik aus? Kann jeder bei euch feiern, oder gibt es auch Gäste, die ihr an der Tür abweisen müsst?

Foto (c) Ander S.

Ich glaube, dass die meisten Gäste schon sehr gezielt zu unseren Veranstaltungen kommen. Man erfährt davon über Mund-zu-Mund, sie sind mit unserem PULZ Crew Account auf Facebook befreundet oder haben unsere PULZ Fanpage geliked. Deswegen haben wir eigtl. genau das Publikum, welches wir gerne sehen. Im Ruderclub werden nur eingeladene Gäste reingelassen, aber das hat rechtliche Gründe, da es eine Privatveranstaltung ist.
Ich glaube, das Publikum wird immer richtig mies, wenn man zu viel Werbung macht, sie falsch platziert oder so viele „Specials“ anbietet, sowas wie „Schnapps 1€“, „Ladies freier Eintritt“ etc.
Wer wegen Gewalt, Rassismus, Sexismus oder Homophobie auffällig wird, wird direkt rausbegleitet und kommt auf die Hausverbotsliste, da kennen wir kein Pardon.

Was sind deiner Meinung nach die Top-DJ’s in Casselfornia?

Natürlich meine Jungs Joshi (Joshua Arnold), Tobi (Tobias Richter) und Alex (Smidek) :-)
Je nach Genre hab ich aber auch noch meine anderen Lieblings Dj`s. Viele natürlich aus der Arm-Richtung, da das für mich natürlich sehr lange in Kassel die Keimzelle für gute Dj`s war. Ist aber immer etwas problematisch die Jungs zu buchen, da sie scheinbar mit dem Arm verheiratet sind und der Geschäftsführer das Auflegen auf Fremdveranstaltungen möglicherweise als Ehebruch sieht.
Basti (Basti Fabel) hat tolle Skills und einen guten Geschmack, Steffen Bartel ist der beste Allrounder und ein wandelndes Musik Lexikon, Niclas Kannengießer spielt einen supergeilen, deepen Sound und Georgi (Georgi Barrel) find ich cool, wenns um funky House oder Chicago geht. Wenns mal etwas experimenteller sein darf und man sich von der straighten Vierviertel mal eben abwendet, macht Samz auch tolle Sets. Von den „Neuen“ finde ich Christian Brunst und Morelio ganz interessant. Es soll ja in Kassel auch noch so ein paar gute Dj`s geben, die den eher etwas schnelleren, bzw. härteren Techno auflegen, das ist aber gar nicht so mein Metier.

Vinyl oder mp3?

Das brisante Thema, welches in der Techno-Szene tw. emotionaler diskutiert wird als weltbewegende politische Fragen :-D
Ich mag Vinyl schon gerne und kann eine gewissene Affinität zu Vinyl-Dj`s nicht abstreiten.
Aber das Medium vor den Sound zu stellen ist auch ziemlich albern. Vorallem ist es einfach nicht mehr zeitgemäß. Ich würde gerne nur Vinyl-Only Partys machen, aber wenn man immer auf dem neusten Stand sein will, sind Schallplatten schon echt ein teures Hobby.

Wie gestaltet ihr das leidige Thema des Eintrittspreises. Wie viele Euronen oder in welchem Bereich liegen die Eintrittspreise für eine eurer Veranstaltungen?

Das „leidige Thema des Eintrittspreises“ trifft es gut. Die meisten Partys kosten zwischen 6 und 10€ Eintritt. Bei Sonderveranstaltungen auch mal mehr. Es gibt wohl kaum eine Stadt, die mit diesem Thema so sensibel umgeht, habe ich den Eindruck.
Mit der Zeit sind meine Ansprüche für Dj`s, Technik, Beschallung und Personal auch höher geworden und das spiegelt sich natürlich auch im Preis wieder.
Bei manchen Locations nutze ich z.B. nur die vier Wände, den Starkstrom- und den Wasseranschluss. Alles andere wird für jede Party angekarrt, gemietet, aufgebaut usw...
Klar, am Anfang waren die Partys günstiger. Aber ich musste auch erstmal checken, dass 19% dem Staat gehören, dass man KSK abführen muss, Versicherungen abschließen muss, sich an Gesetze halten muss und und und...

Was sind eure Planungen für die Zukunft, auf was können wir uns im Event und Release Bereich freuen, habt ihr noch ein paar Überraschungen für uns?

Die Zukunft ist ungewiss. Neue Konzepte entwickeln, einen Club oder eine Bar betreiben, das Label weiter voranbringen, die Sache im Februar aufgeben um etwas im Eventbereich zu studieren oder vielleicht einen richtigen Job erlernen :-) Auf jeden Fall werden wir keine Farbbeutel-Parties und kein Dinner in White veranstalten.
Besonders freue ich mich über m50 aus Chicago, Sascha Dive, Moomin, Lake People LIVE und noch so ein paar andere Dj`s, die wir für 2014 noch gebucht haben.

Lieber Julian vielen Dank für deine umfangreichen Antworten und das ausführliche Interview. Wir wünschen dir und der gesamten PULZ Crew nur das Beste und hoffen auf weitere kreative Mitgestaltung des Nachtlebens in Casselfornia.